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01.06.07 –
DÜSSELDORF. Die Grünen traf die Abwahl aus der NRW-Regierung vor zwei Jahren besonders hart. Sie rückten aus dem Machtzentrum ins hinterste Oppositionsglied des Landtags. Doch die zwölfköpfige Fraktion hat ihre neue Rolle schnell gelernt. Mit Sylvia Löhrmann (50), seit sieben Jahren die Chefin, sprach die NRZ.
NRZ: Frau Löhrmann, Ihre Partei hat als erste in NRW die Gemeinschaftsschule und längeres gemeinsames Lernen der Kinder gefordert. Das findet zunehmend Anhänger, zuletzt beim DGB und der katholischen Elternschaft. Wie kommt es zu diesem Meinungswandel?
Löhrmann: Immer mehr Menschen merken, dass unser Schulsystem nicht in der Lage ist, Kinder bestmöglich zu fördern. Das Aufteilen in verschiedene Schulform-Schubladen führt nicht zu den gewünschten Ergebnissen. Das System bringt zu wenig Leistung hervor und schafft es nicht, den Erfolg der Kinder von ihrer sozialen Herkunft abzukoppeln. Das ist demotivierend.
NRZ: Die Landesregierung hat sich mit dem neuen Schulgesetz auf das gegliederte System festgelegt. Glauben Sie ernsthaft, dass sie sich bewegt?
Löhrmann: Das ist ja das Fatale. Die CDU beruft sich auf Beschlüsse, die sie gefasst hat, bevor die Pisa-Ergebnisse vorlagen. Jetzt kommt sie aus ihren ideologischen Schützengräben nicht mehr heraus. Wir können nur appellieren, dass es um die Kinder geht, dass es aber auch ökonomisch unsinnig ist, die Potenziale nicht auszuschöpfen. Das hat inzwischen auch die Wirtschaft erkannt.
NRZ: Ihre Analyse teilen viele Fachleute, sie finden damit aber bei Schulministerin Sommer kein Gehör. Welche Rolle spielt sie in der Koalition?
Löhrmann: Der schulpolitische Kurs der sozialen Spaltung wird wesentlich von der FDP bestimmt. Auch der Koalitionsvertrag trägt diese Handschrift. Frau Sommer agiert wie eine Marionette. Das kann man leider nicht anders sagen.
NRZ: Der Ministerpräsident will eine ehrenamtliche Initiative starten, um bedürftige Schulkinder mit einem warmen Mittagessen zu versorgen. Was halten Sie davon?
Löhrmann: Was Herr Rüttgers da bietet, ist eine Farce. Es waren die Grünen, die das Thema in NRW auf die Tagesordnung gesetzt haben. Denn der Bedarf wächst bei Hartz-IV-Kindern, aber auch, weil Gymnasien schleichend zu Ganztagsschulen werden, mit Unterricht bis weit in den Nachmittag. Offenbar ist dem Ministerpräsidenten über Pfingsten die Idee der wundersamen Brotvermehrung gekommen.
NRZ: Was kritisieren Sie?
Löhrmann: Man kann nicht eine Mahlzeit, also eine Grundversorgung, von Almosen abhängig machen oder von ehrenamtlichem Engagement. Das ist beschämend. Wenn der Ministerpräsident mit 400 000 Euro in NRW 800 000 arme Kinder sattmachen will, dann sind das 50 Cent pro Kind und Jahr. Es ist also ein absurder Versuch. In Wahrheit lenkt Herr Rüttgers ab. Seine Sozialpolitik sollen der Bund und die Städte bezahlen. Wo er aber selbst verantwortlich ist, werden die Kindergärten teurer.
NRZ: Ihr Vorschlag?
Löhrmann: Das Land muss mit den Kommunen und Wohlfahrtsverbänden einen Fahrplan abstimmen, um Schritt für Schritt das Schulessen einzuführen. Es muss dazu Investitionsmittel bereitstellen, um die Mensen auszubauen. Für Kinder aus ärmeren Familien darf die Mahlzeit nichts kosten.Eltern, die es sich leisten können, sollen sie bezahlen.
NRZ: Sie sind als kleinste Oppositionsfraktion weit davon entfernt, den Kurswechsel in der Schulpolitik durchzusetzen.
Löhrmann: Ja, das stimmt. Aber mein Ziel ist es, dass die Grünen bei der Landtagswahl 2010 wieder gestaltende Kraft werden. Dabei setzen wir auf unsere Top-Themen. Das ist neben dem Klimawandel vor allem die Bildungspolitik, und dabei haben wir auch den sozialen und ökonomischen Zusammenhang im Blick.
NRZ: Die FDP als Ihr größter Konkurrent steht in Umfragen gut da. Wie nehmen Sie das Machtgefüge in der schwarz-gelben Koalition wahr?
Löhrmann: Ich nehme wahr, dass die Wertkonservativen in der CDU allmählich die Faxen dicke haben. Nehmen Sie die Gemeindeordnung, die Mitbestimmung in Landesbehörden oder den Nichtraucherschutz, wo die FDP Regie führt. Viele in der CDU sind es leid, ständig klein beizugeben.
NRZ: Der Flirt der Grünen mit Jürgen Rüttgers ist längst erkaltet. Sehen Sie noch eine Option für Schwarz-Grün?
Löhrmann: Herr Rüttgers hat sich für die FDP und damit für einen marktradikalen Kurs entschieden. Was er auf den zentralen landespolitischen Feldern will, ist mit grünen Grundsätzen nicht vereinbar. Die Schnittmengen sind heute geringer denn je. (NRZ)
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