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28.09.03 –
Fast unmöglich, diesen Daniel Cohn-Bendit ans Telefon zu bekommen. Europa-Parlamentarier scheinen viel beschäftigte Männer zu sein. Cohn- Bendit, Chef der europäischen Grünen-Fraktion, sitzt im Ausschuss für Kultur, Jugend und Bildung, lebt in Frankreich und Deutschland und hat das Buch „Heimat Babylon“. Das Wagnis der multikulturellen Demokratie“ geschrieben.
Der richtige Ansprechpartner also zum Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts und zur Situation an Frankreichs Schulen.
Herr Cohn-Bendit, was halten Sie vom Kopftuch-Urteil?
Es ist ein kluges Urteil, weil es die Verantwortung an die Politik weiter gibt. Und es ist sogar doppelt klug, weil die Formulierung des Gesetzes sehr schwierig wird: Die Länderparlamente können nicht festlegen, dass das Kopftuch als religiöses Symbol nicht mehr getragen werden darf. Dann müssen sie religiöse Symbole nämlich generell verbieten, weil es sonst neue Verfassungsklagen hagelt.
Sehen Sie denn kein Problem darin, wenn eine Lehrerin ihr Kopf tuch trägt?
Das Problem ist nicht, dass eine Frau das Kopftuch trägt, sondern wie sie als Lehrer handelt. Anstatt auf das Kopftuch sollte man lieber schauen: Wie macht die Lehrerin ihre Aufgaben? Es kann natürlich sein, dass sie ihre Schüler indoktrinieren will. Aber wie viele Lehrer ohne Kopftuch machen verheerenden Unterricht?
Im Spruch des Gerichts hieß es, dass man noch nicht genug wisse, wie das Kopftuch einer Lehrerin an öffentlichen Schulen wirke. Manche befürchten, es werde die Schüler negativ beeinflussen.
Ach, es gibt doch wunderschöne Frauen mit wunderschönen Kopftüchern. Ich glaube, dass bestimmte Schüler eher skeptisch sind gegenüber Lehrern mit Birkenstocks oder ähnlichem.
Ist das Kopftuch überhaupt ein religiöses Symbol, gar ein Symbol der Unterdrückung der Frau oder, ist es vielmehr Kleidungsstück moderner junger Frauen, die ihre heimatlichen Traditionen weitertragen möchten?
Es kann alles sein. Noch vor 30 Jahren haben französische Bäuerinnen Kopftuch getragen, orthodoxe Jüdinnen tun es heute noch. Würde man jemals auf die Idee kommen, es ihnen zu verbieten? Und wenn eine Lehrerin es trägt, kann sie mit ihren Schülern darüber diskutieren - das ist doch gut!
Wieso führen die Deutschen diese Diskussion überhaupt?
Die Kräfte, die da diskutieren, haben sich einfach noch nicht mit der multikulturellen Gesellschaft abgefunden und zielen jetzt auf Affekte, die man leicht mobilisieren kann. Gestern habe ich Kurt Beckstein, den bayrischen Innenminister, im Fernsehen gesehen. Er sagte, das Kopftuch werde vor allem in den Gesellschaften getragen, in denen man Christen unterdrücke. Genauso gut kann man doch im Kreuz, das jemand um den Hals trägt, auch ein Symbol für die Kreuzzüge sehen.
Haben manche Deutsche vielleicht Angst um ihre Traditionen oder zugespitzt: ihre Leitkultur?
Was soll diese Leitkultur denn sein? Ist das nun Heino oder Eminem? Als ob in Deutschland ein kultureller Konsens bestünde. Gut, er besteht vielleicht in der Säkularisierung und der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Da haben manche islamischen Gesellschaften noch einige Kämpfe auszutragen.
Sie leben ja in Frankreich. Wie erleben Sie die Situation dort, an den französischen Schulen?
Frankreich ist ein völlig laizistischer Staat. In manchen Dingen geht dort die Trennung von Institutionen und Religion jedoch zu weit. Man versucht mittlerweile, Schülerinnen das Tragen des Kopftuchs zu verbieten. Womit wir wieder bei der generellen Frage nach religiösen Symbolen wären: Würde man eine Schülerin mit einem Kreuz auf der Brust der Schule verweisen? In Frankreich gibt es übrigens auch keinen Religionsunterricht.
Kein Religionsunterricht wünschen Sie sich das auch für Deutschland?
Die Gesetze, die die Länderparlamente nun machen müssen, können nur funktionieren, wenn man erstens alle religiösen Symbole verbietet und zweitens natürlich auch den Religionsunterricht abschafft. Denn wie will man einem katholischen Religionslehrer sein Kreuz und dei islamischen Religionslehrerin das Kopftuch verbieten? Das geht nicht. Also sage ich: kein Religionsunterricht, sondern Ethik für alle!
Mit Daniel Cohn-Bendit sprach Florian Kühlem
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